Donnerstag, 10. Januar 2013

Neue Zeitrechnung


Ab heute gilt sie endlich, die neue Zeitrechnung. Zum erstem Mal seit fast acht Jahren hat heute morgen der entscheidende Dreh an der Armbanduhr stattgefunden und die Zeit wurde gemäss der erreichten Zeitzone umgestellt. Bisher habe ich sie immer ignoriert, die Ansage im Flugzeug für alle, die ihre Uhr gerne auf die Ortszeit einstellen wollen. Es ging es ja auch nur um eine einzige Stunde. Ich traute mir bisher immer durchaus zu, gedanklich einfach eine Stunde zur gezeigte Zeit hinzuzurechnen. Bequemlichkeit und Faulheit sind sicher die beiden wichtigsten Gründe für das Auslassen des Drehs, aber das Ganze hatte auch eine Reihe von angenehmen Nebeneffekten. Besonders im Büro, wenn nach der Addition der Stunde der Feierabend schlagartig nicht mehr so weit in der Zukunft liegt. Oder am Abend, wenn man sich beim Blick auf die englische Zeit Uhr das Recht nimmt, noch genug Platz fuer ein weiteres Bier zu haben. Kurzum, Uhren umstellen auf innereuropaeischen Reisen gab es in all den Jahren nicht, bis heute morgen. Seit diesem Morgen zeigt meine Uhr wieder die gute alte Mitteleuropaeische Zeit MEZ, nach acht Jahren GMT (Grand Master Time). GMT, so dachte ich jedenfalls immer, um dann aber belehrt zu werden, dass die englische Zeit in BBT gemessen wird. Big Ben Time, ich war mir lange nicht sicher, ob ich hier veralbert wurde, aber GMT kennt wohl keine Sommerzeit. Nun soll noch einer sagen, beim lesen meines Blogs lernt man nichts.

Der Grund fuer meinen Sinneswandel hinsichtlich Uhrenumstellung war ganz einfach. Denn heute war mein erster Arbeitstag in Deutschland mit einem neuen deutschen Arbeitsvertrag. Genaugenommen hatte der Vertrag ja schon am ersten Januar begonnen, folglich hatte ich auch pünktlich ab diesem Tag keinen Zugang mehr zu bestimmten firmeninternen Computersystemen. So ein Transfer zwischen zwei Gesellschaften des gleichen Konzerns ist aber auch wirklich eine komplexe Sache, da kommt soetwas eben manchmal vor. Und dass das Problem auch heute, nach immerhin zehn Tagen, noch nicht gelöst wurde, ist auch nur ein weiterer Beweis, wie schwierig es sein muss, dem zentralen Adressregister begreiflich zu machen, dass ich die Firma eben doch nicht verlassen habe.

Nun ist es ja bei weitem nicht so, dass ich heute zum ersten Mal das Büro des deutschen Ablegers unserer Firma besucht habe. Ich hätte sie zählen sollen, die Dienstreisen in all den Jahren zwischen London und Düsseldorf, ganz sicher käme hier eine hohe zweistellige Zahl zusammen. Und doch ist die heute gestartete Reise zweifellos etwas Besonderes. Denn noch nie in den vergangenen acht Jahren hatte es diese Art der Begruessung jemals gegeben. Willkommen im Team, so kam es schon von der freundlichen Dame am Empfang. Sogar in die Poststelle wurde ich begleitet, zwecks Foto für die elektronische Zugangskarte.

Vorbei die Zeiten, in denen ich durch die Aufschrift “Besucher“ auf einem Pappschild am Hemd als Fremdling und Eindringling gekennzeichnet wurde. Jetzt gehoerte ich also auch dazu und um die Eingliederung komplett zu machen, ging es gleich noch zwecks Schulung in die Personalabteilung. Wenige Minuten spaeter wusste ich dann endlich, wo sich im Haus die Notausgaenge und die Feuerloescher befinden, oder wo ich mich im Falle eines Feueralarms versammeln muss. Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, wie naiv und leichtsinnig ich in den vergangenen Jahren unwissend durch das Haus gelatscht bin. Ganz sicher hätte ich mich als einziger beim Ertönen des Alarms sofort in Richtung Aufzug bewegt und mich gewundert, warum mich alle so komisch angucken. Wobei mir diese Aufzuege allerdings auch erst heute so richtig aufgefallen sind, das Haus hat ja nur drei Etagen, nicht, dass ich da jemals einen Aufzug vermisst hätte. Aber zum Glück ist ja alles nochmal gut gegangen, es hat noch kein Feuer oder Alarm während meiner zahlreichen Besuche je gegeben.

Zur Krönung des Tages gab es dann auch noch ein nagelneuen Laptop, der alte war aber auch schon fast zwei Jahre alt, das wurde also Zeit. Allerdings hatte der alte Laptop ja gerade erst eine neue Batterie bekommen, mal sehen, wie ich die inoffiziell in den deutschen PC gepflanzt bekomme. Wenn ich ehrlich bin, ich haette auch gut und gerne meinen alten Laptop behalten koennen, aber so einfach kann man eben nicht ein Anlagegut aus einer Firma in die andere mitnehmen, auch wenn beide Firmen eigentlich zum gleichen Konzern gehoeren. Die Kosten, die ich mit so einer Aktion in den dabei betroffenen Buchhaltungen verursacht hätte, würden wohl für zwei neue Notebooks reichen.

Aber es ist schon schoen, so einen neuen feinen sauberen Rechner in den Haenden zu halten, alles fuehlt sich so frisch und crisp an, keine Taste wackelt und man kann sogar alle Buchstaben erkennen. Wirklich alle, auch die, die ich nach all den Jahren schon fast vergessen hatte. Endlich gibt es sie wieder - meine geliebten deutschen Umlaute und das SZ. Wie habe ich sie doch vermisst, hatte Hohn und Spott zu ertragen, wenn ich mich mit rechtschreiblich fragwürdigen ue, oe, ae und dem vorbelastetem ss versucht habe, durch deutsche emails zu quälen. Bestimmt hätte ich mit etwas Einsatz und irgendeiner Tastenkombination die Umlaute auch an einem englischem PC finden können, aber dafür war ich doch viel zu bequem. Ich erinnere nochmal, hier schreibt jemand, der zu faul ist, im Flugzeug die Uhr umzustellen. Allerdingds dauert die Eingewoehnung noch etwas, wie man schon am Wort Eingewoehnung erkennen kann. Wo war nochmal das ö?


Deutsche Texte werden also etwas einfacher werden, wenn, ja wenn ich mich wieder schnell an die deutsche Installation von Word, Outlook oder Excel gewöhnen könnte. Dabei hatte ich doch gerade erst den Umstieg auf Office 2007 nur knapp überlebt, jetzt wirkt das Ganze in deutsch schon wieder so richtig fremd. Zum Glueck habe ich nach dem ersten Start aber schnell festgestellt, dass mir der deutsche PC mit meinem gesperrten englischem Userprofil noch viel weniger nutzt. Schnell verschwand der also in der Tasche und der englische PC bekam seine unerwartete zweite Chance.

Was ist nun noch alles neu in dieser Zeitrechnung. Es gibt durchaus auch ein paar schlechte Entwicklungen, denn seit dem ersten Januar sind Reisen nach Düsseldorf leider keine Dienstreisen mehr. Hier befindet sich ja jetzt mein Büro, mein Standort also. Und das, obwohl ich noch nichtmal einen eigenen Schreibtisch habe. Alles ließ sich aufgrund der Hektik von nur 8 Monaten Vorwarnung aber nun auch wirklich nicht organisieren. Das waere aber auch zuviel verlangt.

Das mit der Standortfrage ist leider doch etwas mehr als nur eine reine Formsache, denn mit dieser Änderung gehen seit heute Reisen nach Düsseldorf zu Lasten meiner eigenen Brieftasche. Sofort wurde die Kategorie der Hotels um gleich zwei Stufen nach unten gesetzt, mit interessanten Nebenwirkungen. Dass einfachere Hotels nicht immer eine 24h Rezeption haben, war mir bisher gar nicht so bewusst. Schlecht, wenn man diese Komponente preiswerter Unterkünfte erst dann lernt, wenn man um kurz vor 23 Uhr vor den verschlossenen Tueren des gebuchten Hotels steht und sich zu solch später Stunde dann noch auf die Suche nach einer neuen Herberge machen darf. Der dadurch leider zu akzeptierende doppelte Preis wird sich in der Steuererklaerung hoffentlich in der Rubrik Fortbildung unterbringen lassen.

Was gibt es sonst noch zu berichten von dieser neuen Zeitrechnung? Etwas Unruhe ist schon ins Haus gekommen. Silvester wollten wir ja noch abwarten, aber bereits am ersten Januar war dann Schluss mit der Stille und jetzt herrscht das Regime des Pappkartons. Später im Monat wird sich der groesste Teil unseres Hausstandes transportfaehig in diesen Kisten befinden, das ist der Plan. Die Zeit bis zur endgueltigen Abfahrt wird kürzer, noch laesst sie sich aber in Wochen messen. Bald werden es aber nur noch Tage sein, so ein klein wenig Melancholie macht sich durchaus bemerkbar.

Denn es ist schon eine Reise in eine ungewisse Zukunft. Wir verlassen ein relativ komfortables Leben und machen uns auf den Weg in ein kleines Abenteuer. Auf dem Papier mag es einfach erscheinen. Andere ziehen nach China oder irgendwohin, wo es wirklich abenteuerlich ist. Und wir kommen ja nur nach Hause. Aber trotzdem, noch nie waren wir in einer Situation wie dieser, ein Umzug ohne wirklich zu wissen, wie lange wir an unserer neuen Destination bleiben werden. Für wie lange wird diese moeblierte Ferienwohnung unser neues Zuhause sein? Wie lange werden wir auf unsere Möbel, unser eigenes Bett und die vielen anderen kleinen Dinge, die eine Wohnung zu einem Heim machen, warten müssen? Wie wird das mit den Reisen nach Düsseldorf laufen, immerhin ja auf der anderen Seite der gar nicht so kleinen Republik.

Und wann, um auch das hier anzusprechen, werden wir mal wieder Fortschritte auf der Baustelle sehen? Noch nicht einmal die Verfuellung der Baugrube scheint in den nächsten Tagen möglich zu sein, das Wetter ist zwar mild, aber leider gibt es jetzt zuviel Regen. Und mit Matsch verfuellt man Baugruben nicht, da kann ich meinem Tiefbauer ruhig einmal glauben. Nach dem Regen wird es wohl gleich wieder richtig knackig kalt. Bis zu 15 Grad minus sagt Wetter.com für die Naechte voraus. Nichts, was ich meiner Frau, die bei jeder Temperatur unterhalb der 20 Grad Marke mit dem frieren beginnt, heute schon beichten möchte. 20 Grad plu meine ich natuerlich. Lassen wir es am besten einfach herankommen, ändern können wir das Wetter ja eh nicht.

Es ist schon eine interessante Zeit, die da mit der neuen Zeitrechnung angefangen hat. Aber die alte Zeitrechnung musste irgendwann einfach einmal zu Ende gehen. So langsam, wie das Leben in den letzten Jahren hier in England vor sich her plaetscherte, konnte es auch wirklich nicht weiterlaufen. Das Leben braucht manchmal einfach einen Kick. Diese enorme Langeweile musste aufhören, auch wenn noch nicht klar ist, ob der neue Weg in die richtige Richtung führt. Letztes Wochenende haben wir uns mit deutschen Freunden in Henley getroffen, beide kommen auch aus Sachsen und zu unserer Überraschung verkuendeten auch sie den bevorstehenden Wegzug aus England. Allerdings wird es für die beiden in die entgegengesetzte Richtung gehen, die USA ist das Ziel. Wer macht es nun richtig und wer falsch? Gibt es überhaupt ein richtig oder falsch in dieser Frage? Und wann wird man eigentlich wissen, dass der eingeschlagene Weg richtig oder doch falsch war? Doch nur erst, wenn man ihn gegangen ist, oder? Also machen wir uns einfach mal auf den Weg, was bleibt uns auch anderes uebrig.

Die neue Zeitrechnung wird die Antworten sicher bringen. Mit dem Ende des letzten Jahres fand unser Abenteuer Ausland seinen Abschluss, auch wenn das für meine Frau eigentlich nicht zutrifft, ist ja Deutschland technisch gesehen weiterhin Ausland für sie. Ob sie das jemals als etwas anderes empfinden wird, ist ungewiss und vielleicht auch unwahrscheinlich. Aber auch das ist nicht sicher.
Ein tollen Start in 2013 wuensche ich dann mal.

1 Kommentar:

  1. Rene, Welcome back to Germany und einen Guten Start in 2013 - Auf dass dein Keller nicht Nackt bleibt!
    Falls dich deine Geschäftsreisen mal in Richtung Stuttgart führen melde dich doch mal. Meine Email-Adresse lässt sich leicht bilden: Vorname @ Nachname + ".net"

    Bastian

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