Mittwoch, 6. März 2013

Go West

In diesen Tagen wird so nach und nach einiges zur Realität; Normalität und Gewohnheit, von dem ich vor wenigen Monaten eine nur recht vage Vorstellung hatte. Inzwischen weiß ich wieder ein wenig, wie sich das Leben in der alten Heimat so anfühlt. Die ersten Anzeichen der Eingewöhnung stellen sich ein, es gibt schon kleine noch sehr verhaltene Signale einer wieder erwachenden Heimatverbundenheit mit diesem für uns alle neuen Lebensmittelpunkt. Und hier meine ich insbesondere meine Familie, ich komme ja von hier, wenn ich auch noch nie im Zittauer Gebirge direkt gelebt habe.

Inzwischen stellt sich langsam so etwas wie ein gewisser Alltag ein. Der Tag beginnt mit einem Blick aus dem Fenster auf den neuen Schnee der letzten Nacht. Die ersten Minuten des Tages entsprechen ziemlich genau der Routine aus England, ich versuche die Familie aus dem Bett zu kriegen und versorge das Kind mit Frühstück. Die Frau ist zuständig für die Befüllung der Brotbüchse und die Frisur der Kleinen, sogar der Streß bei der täglichen Auswahl der Kinderkleidung ist ausgeblieben. In England hatten wir uns so schön an die Schuluniform gewöhnt, da gab es schon etwas Bedenken, daß wir uns im uniformfreien Deutschland etwas schwer tun würden. Doch das Wetter macht es uns zum Glück leicht, jeden Tag geht es in den gleichen Schneeanzug und das Kind ist bestens gerüstet für den Tag.

Direkt nach dem Frühstück folgt die erste entscheidende Verbesserung unseres Lebenswandels im Vergleich zu unserem englischen Trott. Denn in England sind wir nicht ein einziges Mal zu Fuß in die Schule gelaufen, dafür war die Strecke einfach zu weit. Jeden Tag wurden wir somit Teil des School Runs, ein Rennen, bei dem sich Mütter in ihren Familien SUV sternförmig auf die Schule zu bewegen, in der Hoffnung, dort einen Hauch eines Parkplatzes zu erhaschen. Parkplätze, die nicht sofort einen wütenden Anlieger auf den Plan rufen, der sich seiner Rechte auf freie Grundstückseinfahrt beraubt sieht, sind sehr rar rund um die Schulen zwischen 8:30 und 9 Uhr. Die einzigen Gegenmaßnahmen der Schulen sind der sogenannte Morning Circle, man fährt einmal um die Schule rum und darf sein Kind an der vereinbarten Stelle aus dem Auto schmeißen. Die Schule empfiehlt, die Nutzung dieses Circles vorher anzumelden, damit der wartende Lehrer am Bürgersteig das Kind auch erwartet und mit einem Schubs in Richtung Hauseingang schiebt. Die andere Maßnahme sind Stempelkarten, sollte es wirklich mal jemand zu Fuß in die Schule geschafft haben, dann gibt es hier Punkte für jede Laufminute. Sehr beschäftigt sahen die beiden Stempelmädchen morgens aber eigentlich nie aus.

Hier in der Oberlausitz hätten wir unsere Stempelkarte schon längst voll. Gefühlt sind wir bisher jeden Tag in den Kindergarten gelaufen. Die Strecke ist zwar um einiges kürzer als in England, aber mit immerhin 20 Minuten auch nicht zu verachten. Und wir müssen diese Strecke ja auch gleich wieder zurück. Am Nachmittag gewinnt dann aber doch meistens das Auto, die Zeit für einen zweiten Spaziergang gibt es leider nicht, wir sind hier ja schliesslich nicht im Urlaub.

Der weitere Tagesablauf  ist dem Homeoffice gewidmet. Wir nennen diesen Platz im Wohnzimmer jetzt einfach mal so, auch wenn der Schreibtisch eigentlich einmal eine Nähmaschine war und außer einem Laptop da nichts draufpasst. Nicht mal ein Telefon, dafür musste ein Bücherregal zweckentfremdet und im Raum verschoben werden. Aber man macht das Beste daraus, bequem ist was anderes. So richtig vermissen tue ich in diesem Homeoffice aber eigentlich trotzdem nichts. Sogar das Internet ist entgegen aller Befürchtungen schnell genug. Und das trotz Dauerstreaming meiner Frau, die seit der Entdeckung des Apps FilmOn das britische Fernsehen doch noch nach Waltersdorf geholt hat -- Danke an Bettina für diesen tollen Tipp. (Bettina ist übrigens auch ein Blogger - oder sagt man Bloggerin? - Wer gerne interessante Texte zum Thema Oberlausitz liest - oder auch zu anderen Lifestyle Themen - bitte hier mal klicken)

Grand Designs habe ich mit diesem App aber immer noch nicht gesehen, dafür haben meine Liebsten nun endlich ihre englischen Talk- und Kindershows wieder, was sehr zur Akzeptanz des neuen Wohnorts beigetragen hat und mit Sicherheit bei der eigentlich geplanten Erlernung der deutschen Sprache ungeheuer hilfreich ist

Aber ich wollte eigentlich noch etwas mehr zum Thema Home Office schreiben. Bisher war ich da kein so großer Fan, was weniger mit den paradiesischen Zuständen im Büro in England zu tun hatte, als mit dem Fakt, daß ich in dem alten Haus eigentlich keine richtige Stelle zum ruhigen Arbeiten hatte. Ein Umstand, den auch unsere temporäre Unterkunft mit dem alten Haus gemeinsam hat, denn meine Schreibtischnähmaschine steht ja mitten im Wohn-Essbereich der Ferienwohnung. Dieser Umstand wird sich im neuen Haus dann schlagartig verbessern, dann habe ich mein eigenes Reich, habe Platz, einen richtigen Schreibtisch und bestimmt auch den einen oder anderen Schrank, der die geduldigen Papierstapel aufnehmen wird, die sich derzeit über den Fußboden des halben Wohnzimmers verbreiten. Nur noch ein wenig Geduld, dann wird alles gut und die Lösung mit dem Homeoffice ein voller Erfolg.

Genau in diesem Moment tritt nun eine gewisse Frau Mayer, Chefin einer weltweit bekannten Internetfirma, der auch ich mein kostenloses email Konto verdanke, eine Diskussion über die Zukunft des Home Office los. In einer internen email beordert sie alle Heimarbeiter bis spätestens Sommer an die Arbeitsplätze zurück, und sofort sind die Zeitungen voll von Pro- und Kontrastimmen zu dieser Aktion. Und dabei hatte meine Home Office Karriere doch gerade erst begonnen.

Nun bin ich durch meinen kürzliche vollzogenen Sinneswandel Pro Homeoffice ja mit Sicherheit etwas befangen und den Argumenten der Contra-Mayer Fraktion viel eher zugänglich. Aber trotzdem will ich mal die Argumente der Pro-Mayer Schreiberlinge aufgreifen und mit meiner eigenen, wenn auch noch recht kurzen Erfahrung hier vergleichen. Viele Argumente gibt es dort ja eigentlich nicht.
  • Die Arbeit zu Hause gehe zu Lasten der Schnelligkeit und Qualität
  • Bei der Arbeit im Homeoffice entschwindet das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter
  • Ein Homeoffice macht träge, weil die Kontrolle des Chefs fehlt und weil es das Team nicht mehr gibt, welches Vorbilder liefert und die Mitarbeiter dadurch zu höheren Leistungen anstachelt
  • Zu Hause herrscht nur Ablenkung, das schmutzige Geschirr oder der Rasenmäher verfügen über eine stärkere Anziehungskraft als ein Stapel voller Akten oder eine überquellende Inbox. 
  • Im Homeoffice fehlt der Austausch mit Kollegen als Quelle der Kreativität
Man merkt der Liste an, wie sehr die Autorin hier versucht, durch banale Binsenweisheiten mit Macht die ihr zustehenden drei Spalten zu füllen. Daß ein Homeoffice träge macht, wird mit einem Experiment versucht zu beweisen, in dem die Versuchspersonen zuerst alleine und dann in Paaren Briefe verpacken. In keinem meiner bisherigen Jobs hatte ich bisher je im Accord Briefe zu verpacken oder auch nur im entferntesten eine Art der Beschäftigung, die sich in ihrer Menge leicht messen ließ. Nur ein einziges Mal, ich war allerdings noch ein Student, konnte man meine Arbeitsleistung am Abend recht leicht erfassen, einfach am Wert der ins System eingegebenen Vertriebsaufträge. Das war allerdings eine wiederkehrende und stupide Arbeit, die man in der Firma gerne an Studenten delegierte, damit die übrige Belegschaft mehr Zeit zum Schwatzen und Kaffeetrinken hatte. Nach einer Weile erkennt aber selbst der Dümmste ein gewisses Muster in diesen Bestellungen und ändert die Art und Weise, wie man die ins SAP hämmert. Es wird nicht mehr Zeile für Zeile eingegeben, sondern der Inhalt der Bestellzeilen, der immer gleich ist, einfach immer kopiert und dann manuell nur der Teil abgeändert, der die einzelnen Positionen unterscheidet. Meistens war das nur eine einzige Zahl. Den Job war ich allerdings recht schnell los, vielleicht war meine neue Eingabemethode nicht gut für den Durchschnittsumsatz pro Vertriebsinnendienstmitarbeiter.

Auch die anderen Argument ziehen nicht so richtig. Ob meine Arbeit hier langsamer wurde oder schlechter, diese Einschätzung überlasse ich meinem Chef, übrigens auch ein Homeoffice Fanatiker. Kontrolle durch ihn hatte ich in England schon wenig, er sitzt ja in Düsseldorf, aber auch dort ist er durch diverse Reisetätigkeiten und seinem Gebrauch des Homeoffice nur sehr selten anzutreffen. Wenn überhaupt irgendetwas messbar ist hinsichtlich der Schnelligkeit meiner Arbeit, dann vielleicht die Größe meine Inbox am Abend. Wirklich nie habe ich es im Büro geschafft, auch nur annähernd die Masse der emails zu kategorisieren oder zu sortieren, geschweige denn zu lesen. Meistens kam mir die Nachricht, daß ich schon wieder die Größe meines Postfachs ausgereizt hatte, dann doch zuvor und die Mails wurden erzwungenermaßen massenweise archiviert. Wer auf eine Antwort einer archivierten email wartet und nicht drängelt, selber schuld. Den Kampf gegen die Email Flut hatte ich im Büro längst verloren.

Ganz anders hier im Home Office. Meistens liegen am Abend wirklich nur die emails in der Inbox, die ich wirklich noch brauche und für deren Antwort ich mir noch ein paar Stunden Zeit lassen möchte. Woran liegt das aber?

Ganz sicher liegt es nicht an den vielen Meetings, an denen ich neuerdings nicht mehr teilnehme. Denn diese waren und sind aufgrund der unzähligen Standorte unserer Abteilung fast immer nur Telekonferenzen. Neuerdings benutzen wir dafür sogar eine Webcam via Skype. Durch die Einführung der Webcam erledigt sich auch ein weiteres Vorurteil der Pro-Mayer Fraktion, nachdem wir einmal einen Kollegen im Unterhemd im Garten erwischt haben, werde ich gewaltig aufpassen, daß mir das nicht auch passiert. Soviel zum Thema im Homeoffice lungern alle im Pyjama auf der Terrasse rum.

Ein Grund für meine neue Produktivität liegt ganz sicher in der Reduktion der Zeit, die die Autorin als Quelle der Kreativität beschreibt. Die versehentlichen Treffen an der Kaffeemaschine, in der wir sofort in ein tiefgründiges Brainstorming verfallen und die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten des englischen Wetters erörtern, wie werde ich sie vermissen. Meistens erfahre ich dort auch, welche Urlaube gerade so geplant werden oder daß man bei Elektrogeräten von Einbauküchen, die von Besuchern des Hauses gesehen werden können, auf wohlklingende Markennamen achten muss. Alles interessante Themen, keine Frage, aber kreativer wurde ich dadurch nicht. Und wenn man doch mal ein Brainstorming zu einem echtem Arbeitsthema brauchte, dann hat man sich dazu eher doch wieder in einem Meetingraum getroffen, einen mit Telefon und Projektor, weil ja fast immer ein Kollege von einem anderen Büro oder Land oder sogar Kontinent hinzugeschalten werden musste.

Und so prallt sie an mir ab, die Kritik am Homeoffice. Verallgemeinern kann man das ja eh nicht, fast jede Person und jeder Job sind unterschiedlich. Und eine reine Homeofficelösung liegt bei mir ja nicht vor, auch ich werde mich von Zeit zu Zeit auf den Weg in eines der vielen Büros machen. Das letzte Mal vor wenigen Wochen, als ich das erste Mal von hier die Reise in den Raum Düsseldorf antreten durfte. Eine Reise, die mir in Zukunft noch so einige Male bevorstehen wird, wie bereits im Beitrag "Autobahnen" angekündigt. Und wie im damaligen Beitrag bereits im Schlußsatz angedeutet, diese Reisen werden wohl nicht viel mit Autobahnen zu tun bekommen.

Der Stress der mehrstündigen Autofahrt wurde mit einer gemütlichen Fahrt im Nachtzug ersetzt. Der Preis für die Fahrt entspricht ungefähr den Benzinkosten, man spart aber eine Nacht im Hotel und kommt trotzdem ausgeruht im Büro an. Die Bahn als Bindemittel zwischen Homeoffice und Büroalltag. Es geht also. So schwarz und weiß, wie die Sonntagszeitungsschreiber das Thema derzeit diskutieren, so ist es gar nicht. Das Homeoffice war für mich der Schlüssel zur neuen und alten Heimat und dem damit verbundenen Hausbau. Aber für 100% Homeoffice bin auch ich nicht gemacht, auch ich brauche die zufälligen Treffen an der Kaffeemaschine, bei denen ich andere mit meinem Gerede über geplante Motorradtouren so herrlich von der Arbeit abhalten kann. Manche Gespräche sind eben doch besser, wenn man dafür kein Telefon benötigt.

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