Montag, 17. Juni 2013

Iron Butt

(dieser Beitrag wurde inspiriert vom Post "Vespa verfahren", zu finden im Hausbau Blog des Stahmer Hauses aus dem Schwarzwald)

Zu den härtesten Bikern der Welt zähle ich mit Sicherheit die Mitglieder der "Iron But Association". Diese in den USA gegründete Organisation hat inzwischen weltweit über 53.000 Mitglieder und sich ganz und gar dem Langstrecken-Motorradfahren verschrieben. Daß dabei auch die Sicherheit der Biker im Vordergrund stehen soll, mag etwas vorgeschoben wirken, denn schon das Einstiegslevel in diesen Club hat mit Sicherheit nicht mehr wirklich viel zu tun.

Als unterstes Einstiegslevel gilt der "Saddle Sore 1000" - um diesen zu erreichen, muß man innerhalb von 24 Stunden mindestens 1.000 Meilen auf dem Motorrad zurückgelegt haben. Das sind immerhin etwas über 1.600 Kilometer. Und hier gilt nicht etwa die reine Fahrzeit, sondern 24 Stunden nach dem Zeitpunkt des Starts fällt die Klappe. Die Regeln sind dann aber relativ einfach, man braucht nur einen Zeugen beim Start, auf der Strecke muß man Beweise sammeln, die irgendwie ein Datum und die Uhrzeit zeigen (Tankquittungen sind da ganz gut), dann noch einen Zeugen am Endpunkt der Tour. Und wenn sich dieser Endpunkt dann auch noch mindestens 1.000 Meilen vom Start entfernt befindet und noch keine 24 Stunden vergangen sind, dann kann das Ganze in die Post und ein paar Wochen später ist man im Club. Als besonderes Highlight kriegt man dann noch ein Zertifikat, einen Anstecker und eine Nummernschildunterlage mit dem Logo des Clubs.

Leider kann man auf der Webseite dieser toughen Biker nicht die genauen Abmaße dieser Unterlage herausbekommen, doch es ist unwahrscheinlich, daß die unförmigen deutschen Motorradnummerschilder da draufpassen. Auch wenn die ja inzwischen etwas kleiner ausfallen dürfen, den Größenvergleich mit den amerikanischen Schildern verliert die legale deutsche Variante aber immer noch. Hier zählt nunmal, je kleiner, desto besser. Deutsche Überführungskennzeichen gibt es immer noch nur in der alten großdeutschen Variante, die es in der Fläche wahrscheinlich schon mit einem Schneeschieber aufnehmen können.


Doch was mache ich mir eigentlich Sorgen, ich habe diese Nummerschildunterlage ja eh nicht. Ich bin zwar gerne möglichst weite Strecken auf dem Motorrad unterwegs, aber bisher hat es noch nie für 1.000 Meilen an einem Tag gereicht. Wenn man dann noch auf einer Insel wie Großbritannien wohnt, muß man diese 1.000 Meilen ja auch erstmal finden. Denn sogar wenn man die zwei am weitest entfernten Punkte dieser Insel verbindet (Land's End in Cornwall und John O'Groats in Schottland), kommen nur 836 Meilen dabei heraus.



Diesen Ehrgeiz hätte ich dann aber schon bei dieser Sache, wenn schon ein Eisen Arsch - dann werden diese 1.609 Kilometer auch wirklich stur in eine Richtung gefahren. Denn nur auf diese Weise kann man sich die ganze Zettelwirtschaft mit den Beweis-Tankquittungen von irgendwelchen Zwischen- oder Eckpunkten, wie bei einer Rund- oder Hin- und Zurückreise notwendig, ganz einfach sparen. Indem man den Start- und den Endpunkt einfach 1.000 Meilen auseinander legt, macht man es den Juroren der IBA in den USA viel leichter. Dann reicht zur Berechnung der Entfernung einfach nur Google (von denen auch das obige Bild stammt), und die in nicht-amerikanischer Geographie eventuell etwas schwächelnden IBA Biker brauchen dann nicht erst lange nach irgendwelchen ominösen Autobahnraststellen suchen.

Somit stellen wir also fest, mit diesem Anspruch kann man auf der britischen Hauptinsel kein Eisen-Arsch werden. Wie sieht es aber aus, wenn man die Insel verläßt? Denn genau das habe ich Mitte Mai mit meinem kleinen Mopped gemacht. Als letztes Möbelstück unseres Haushaltes (nennen wir es ruhig mal so, denn die meiste Zeit wird die Maschine ja wirklich nur zum Staubwischen benutzt) - sollte 2,5 Monate nach dem Hauptumzug nun endlich auch das Motorrad in die neue Heimat gebracht werden. Über elf Wochen war das gute Stück in der Garage einer Kollegin untergestellt, elf Wochen in denen ich nicht mit dem Poliertuch meinen Routinegang in die eigene Garage machen konnte, um den eigentlich schon längst perfekt glänzenden Rückspiegel nochmal richtig abzurubbeln. Es wurde Zeit für die längste Motorradtagesreise des Jahres, Zeit für meinen Iron Butt.

Die Zeichen dafür standen gut. Der Schnee war schon seit einiger Zeit getaut und auch das berüchtigte Streusalz (Gift für Chrom) war durch die ersten heftigen Frühlingsregenfälle schon von den Straßen gespült. Dazu kam eine im Monat Mai geplante dreitägige Dienstreise nach England, die sich auch noch direkt an ein Wochenende anschloß. Sogar das Wetter spielte mit, denn bei einer 85%igen Wahrscheinlichkeit auf Regen lagen meine Chancen auf eine trockene Fahrt immerhin im zweistelligen Bereich. Und falls es doch regnen sollte, dann könnte ich endlich meine neue Regenkombi ausprobieren, die der alten so täuschend ähnlich ist, damit meine Frau die ungeplante Neuanschaffung nicht unbedingt gleich bemerkt. Sogar ein Taxi zum Flughafen nach Prag hatte ich organisiert, denn es wäre schon sehr peinlich gewesen, wenn ich mit dem Motorrad nach langer Fahrt endlich zu Hause ankomme und dann feststellen muss, daß sich mein Auto 140 Kilometer entfernt in einem Parkhaus befindet.

Normalerweise stellt sich beim Planen eines Roadtrips von der Insel immer nur die Frage: "Tunnel oder Fähre" - diesmal kam noch die Frage hinzu, wie die IBA eigentlich die 33 Meilen unter oder über dem Kanal rechnet, die man sich zwar in eine gewisse Richtung bewegt, ganz genau genommen, aber ja doch nicht auf dem Sattel eines Zweirades sitzt. Obwohl recht ausführlich, so findet sich dazu in den IBA Regeln kein Wort, diese Regeln hatten wohl eher größere Kontinente im Kopf. Um sicher zu gehen, sollte man diese Meilen wohl lieber hinten dranhängen. Und die erste Frage stellte sich für mich ja eigentlich auch nicht, bei einer solchen Tour kommt es nunmal auf die Zeit an, und hier schlägt der Tunnel die Fähre um Längen, so dachte ich zumindest.

Der Eingang des Tunnels befand sich zirka 2 Stunden von meinem Hotel entfernt, der früheste Zug, den ich mir zutrauen würde zu erreichen, sollte 5:46 Uhr den Bahnhof in Folkstone verlassen. Es würde also eine kurze Nacht werden. Mit der geplanten Startzeit von 3 Uhr morgens hatte ich dann gleich zwei Probleme. Erstens hat um die Uhrzeit keine Tankstelle in der Nähe des Hotels auf. Und zweitens machte mir die nette Dame vom Empfang auch wenig Hoffnung, daß ich zu dieser Zeit aus dem Hotel auschecken könnte. Somit wurde das letzte Tanken und auch der Check-out auf den Vorabend verlegt, beides wären eigentlich gute Beweisdokumente für die Startzeit gewesen. Nun gut, dann lief meine Zeit eben schon ab 10 Uhr abends. Damit hatte ich mit Sicherheit den wohl ungewöhnlichsten Start, den ein Saddle-Sore 1.000 Adventure nur haben kann, ich ging nämlich erstmal schlafen.

Wenige Stunden später war ich trotz der wenigen Stunden Schlaf hellwach, es ging endlich los. Die ersten zwei Stunden verliefen in totaler Dunkelheit ohne besondere Vorkommnisse. Ich bin sogar etwas früher vom Hotel weggekommen und statt der geplanten 2 Stunden brauchte ich nur 90 Minuten. Es war erst kurz nach 4 Uhr, als ich erwartungsfroh meine Pin-Nummer in den Check-In Automaten einhämmerte. Normalerweise bucht dieser Automat, so Platz vorhanden, immer den nächsten verfügbaren Zug, ich war mir also sicher, daß ich den bereits herausgefahrenen Vorsprung auch auf das Festland retten kann. Zu meinem Ärger mußte ich aber leider feststellen, daß der 5:46 Uhr Zug wohl der erste Zug des Tages sein sollte. Somit ging meine Iron Butt Reise recht ungewöhnlich weiter. Wieviele der Iron Butt Aspiranten machen auch denn auch eine fast 90 minütige Pause nach noch nicht einmal zwei Stunden Fahrt? Die Fähren fahren übrigens rund um die Uhr, vielleicht hatte der Tunnel dieses Mal also doch keinen Zeitvorteil.


Der weitere Verlauf der Strecke ist eigentlich schnell beschrieben. Wer es ausführlicher mag, dem sei mein Beitrag über die europäischen Autobahnen vom August letzten Jahres empfohlen. Denn genau diese Autobahnen nahm ich wieder einmal unter die Räder, auch wenn es diesmal nur zwei waren. Die Fahrt an sich war recht langweilig, in Ermangelung meines i-Pods musste ich mir sogar selber meine musikalische Untermalung singen. Pausen gab es nur, wenn der Pegel des Tanks es verlangte, das war also alle 2,5 Stunden der Fall. So ein V2 schlürft schon was weg, da reichen 19 Liter eben nicht länger. 

Noch dazu sorgte nicht einmal ein ordentlicher Regen für Abwechslung, ich bin wirklich trocken geblieben.  Bis auf nebliges und nasskaltes Wetter in der Gegend um Dortmund war eigentlich auf der gesamten Strecke gutes Motorradwetter. Mit dem Überschreiten der ehemaligen innerdeutschen Grenze riß dann sogar noch der Himmel auf - genauso wie im schönsten deutschen Popsong der letzten Jahre beschrieben, gesungen von einer Band aus der Oberlausitz (Das habt ihr nicht gewusst, oder?) 

Die letzten 400 Kilometer wurde es dann sogar richtig warm unter meiner Regenkombi, leider passte die nicht mehr in meine Satteltaschen, denn darin steckte ja schon der ganze Krempel von meiner vorhergehenden Dienstreise. Ob es einem Laptop eigentlich etwas ausmacht, vierzehn Stunden von den Vibrationen des dicken Harley Motors durchgeschüttelt zu werden? Nun, wir werden es bald wissen, denn wenn die Fahrt so weitergeht, dann könnte ich schon in nur etwas mehr als 3 Stunden am Ziel sein. So in Gedanken versunken (beim Motorradfahren verfalle ich öfter in Tagträume) - erreichte ich den ersten Stau des Tages. Ein LKW Unfall in einem Tunnel, alles stand und es sah auch nicht danach aus, daß es bald weitergeht.

Wäre diese Situation in England oder in Frankreich eingetreten, keine Sekunde hätte ich gezögert und ich wäre durch den Stau hindurch nach vorne gefahren. Wozu sitzt man schliesslich auf einem Motorrad? In England wird dieser Prozess "Filtering" genannt, ich stelle mir dabei immer ein Motorrad als das Wasser vor, welches sich langsam durch den gemahlenen Kaffee schlängelt - es geht zwar langsam, aber es geht voran. Und in Frankreich gibt es sogar eine ganze Branche, die von der schlankeren Silhouette eines Motorrades lebt, ich rede von den Moto-Taxis in Paris. 

Wer noch nie auf so einem Teil gefahren ist, das ist eine Erfahrung, die man durchaus mal machen sollte. Der Koffer wird hinten auf die Honda Goldwing geschnallt, man bekommt einen Leihhelm nebst Ein-Weg Stoffbadekappe und eine warme Decke, und schon geht es rasant mitten durch den größten Parkplatz der Stadt, denn nur so kann man die Peripherique zur Rush-Hour bezeichnen. Auf diese Weise habe ich schon einige Male ein Flugzeug gerade noch erreicht, welchem ich von einem normalen Taxi wohl beim Start hätte zusehen können. Solange man immer schön darauf achtet, die Knie an den Fahrer zu pressen, kann ja auch fast nichts passieren. Die Knie befinden sich leider genau in der Höhe der Außenspiegel der parkenden (wartenden) Autos, hört sich schmerzhaft an und ist es sicher auch.

Wie ist nun aber die rechtliche Lage in Deutschland, darf man oder darf man nicht? Angefeuert von den wartenden Autofahrern habe ich mich dann doch aufgemacht und langsam durch den Stau geschlängelt. Es gab zu dem Moment bereits zuviele Tauschangebote von Autobesitzern, die bei der Perspektive einer freien Fahrt gerne auf ihr heißes Blechdach verzichten wollten. Meine Abfahrt führte sogar zu einer kleinen Beziehungskrise eines jungen Pärchens, das Mädchen wäre wirklich gerne bei mir hinten draufgesprungen und hätte den Freund in der Hitze der Autobahn schmoren lassen. Zum Glück für die Beiden hatte ich keinen zweiten Helm mit. Wie auch immer, der Stau löste sich dann doch recht schnell auf, und ich kam heil und trocken um 20 Uhr an meinem Ziel an.

Einen Iron Butt habe ich mir damit aber doch nicht verdient, denn auch mit den 30 Meilen vom Kanal lag die Gesamtstrecke nur bei etwas über 800 Meilen. Daß das mit dem Eisen-Arsch nichts wird, wußte ich natürlich vorher, aber ich wollte wenigstens die Spannung aufrecht halten, damit der werte Leser auch wirklich bis zum Ende liest. Das Motorrad wurde gleich am nächsten Morgen in die nächste Garage zwecks Lagerung überführt, dort wartet es jetzt darauf, irgendwann einmal ein echtes deutsches Nummernschild zu kriegen.

Wer also diesen Beitrag, totzdem er eigentlich nichts mit dem Huf Haus zu tun hatte, wirklich bis zum Ende gelesen hat, mit dem möchte ich auch noch diese Nachricht teilen. Nur wenige Wochen später sah es in der Straße, in der jetzt mein Motorrad parkt, in der aber auch alle unsere Möbel in einer Scheune auf den Einzug in das neue Haus warten, so ähnlich aus, wie auf dem Foto unten:


Es hat nur einen einzigen Regenguß von 30 Minuten Dauer gebraucht - und die Straßen wurden zu Flüssen. 
Die Scheune mit unseren Möbeln stand in so einem Fluß und somit einen halben Meter im Wasser, wir werden wohl erst beim Einzug im August sehen, welche Möbel wir wirklich noch ins Haus stellen können. Wasser im Keller, hieß mein Beitrag von der letzten Woche. Wenn auch nicht der Keller, aber daß am gleichen Tag dann wirklich unsere Scheune voll Wasser läuft, ist schon ein recht grober Gag vom lieben Petrus. Selten so gelacht.



4 Kommentare:

  1. Hallo Rene,

    ich schreibe im Namen von 5 Lesern: Der Blog ist so gut, dass wir mehr Stoff wollen. Du schreibst zu wenig! Hol dir bitte deinen Iron Butt als Blogger. Bitte mind. 1 Beitrag pro Woche ;-)

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  2. :-( Müssen wir uns Sorgen machen? Es ist so still geworden hier... Schade. Auch ich als Nicht-Häusle-Bauer lese hier mit Begeisterung mit. Weiter so !!

    Gruß, Guido

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    1. Bitte keine Sorgen machen, ich war nur so unendlich faul

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